Außer Konkurrenz - Rekonstruktionen

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1722 schrieb Johann Sebastian Bach den ersten Teil des Wohltemperierten Klaviers. 1744 folgte die Veröffentlichung des zweiten Teils. Welch eine Gelassenheit, sollte man meinen, nach 22 Jahren (in denen Bach keineswegs untätig war, das hätten seine Dienstherren gar nicht zugelassen) ein Werk zu vervollständigen bzw. zu vollenden. Bach hat mir Mut gemacht, nach 37 Jahren noch einmal dieselben Arbeiten zu produzieren.
In einem Musiklexikon heißt es, dass Bach „den Begriff der absoluten Musik noch nicht kannte, sondern von der Funktion der Musik im öffentlichen, kirchlichen und geselligen Leben ausging“ und dass „seine Kompositionen den realen Bedürfnissen beim Gottesdienst, Staatsakt oder Vergnügen dienten“.

Was wären heutzutage in einer schnelllebigen Zeit reale Bedürfnisse z. B. einer inzwischen autonom und damit auch absolut gewordenen bildenden Kunst, was wären ihre Vergnügen? So vielfältig die Antworten auch sein mögen, ein Vergnügen müsste sicher erwähnt werden: das Vergnügen der Spekulation. Dabei geht es nicht vordergründig um die Gewinnbringung einer Geldanlage (das ist das Endprodukt), sondern um deren Voraussetzung: sich für ein noch nicht An-Erkanntes einzusetzen in der Hoffnung, dass es vor der Geschichte Bestand haben wird.

Aufs richtige Werk bzw. seinen Künstler gesetzt zu haben, wenn es in einem Netzwerk von Objektivierungen seinen Weg der Anerkennung gefunden hat (und alle, die sich daran beteiligen, profitieren davon), erfüllt einen mit Stolz.

  Dabei sind mit Netzwerk jene Personen und ihre Einrichtungen gemeint, die von Berufs wegen mit Kunst zu tun haben, ohne selbst Künstler zu sein (ein wichtiger Hinweis deswegen, um künstlerische und kulturelle Absichten gerade wegen ihrer gegenseitigen Abhängigkeit nicht zu verwechseln). Es sind Menschen mit einem sicher auch leidenschaftlichen, vorrangig jedoch beruflich gebundenen Verhältnis zur Kunst. Mit Objektivierung wiederum ist ein sachliches, durch Wissen und Erfahrung geprägtes Verhältnis zum Objekt Kunst gemeint, ohne subjektiv verstrickt oder persönlich betroffen zu sein. Es sind die ver-mittelbaren Aussagen Einzelner in der Hoffnung, für möglichst Viele un-mittelbar gültig zu sein. Dieser Arbeit verdanken wir es, dass aus der Kunst als regional verstreute Masse ein hierarchisch strukturierter, lokaler bis metropoler, manchmal gar imperialer Begriff wird.

Das Bedürfnis des Aussortierens, Ein- und Zuordnens ist nicht nur eine Folge des freien Marktes, sondern ein grundsätzliches Merkmal der Moderne seit es sie gibt. Man könnte es als ihre Erbsünde bezeichnen, bei allem Engagement nie so recht zu wissen, wie es um die Wertschätzung aktueller Aussagen auch in Zukunft bestellt ist – einschließlich der Strukturierungshilfen der fachlich kompetenten Kulturarbeiter bei ihrem Versuch, wegweisend zu sein. Die Ungewissheit der Moderne – zweifellos ihr größter Reiz – könnte man am Ende einer Jahrhunderte langen Entwicklung allerdings auch als Rache einer Kunst, die vorgab zu wissen, was und wie Kunst zu sein hat, verstehen. Aus dieser Dialektik löst sich die Moderne nicht wirklich, weil der Begriff vom ewigen Wert im Hinterkopf nicht überwunden werden kann. Das Reich der Freiheit und Unverbindlichkeit - die Autonomie der Kunst -jenseits von Eden hat seinen Preis: Der Blick fällt auf ein unwegsames Gelände, in das man nur spekulative Fährten schlagen kann in der Hoffnung, irgendwann irgendwo anzukommen - oder auch nicht.